Kapitel 4
Offene und politische Bildung
Definition
Offene Bildung ist ein Überbegriff für all jene schulischen und außerschulischen Initiativen, die Bildung partizipativ, offen sowie im Sinne der Ideen von „digitaler Bildung” und „zeitgemäßer Bildung” gestalten. Sie wollen Bildung als Gemeingut fördern und stellen selbstgesteuertes und kompetenzorientiertes Lernen in den Fokus. Ziel ist dabei immer eine selbstbestimmte, kritische Nutzung und mediale Produktion. Dafür nötig sind Freiräume für junge Menschen, um mit neuen technischen Möglichkeiten zu experimentieren, eine Minderung des Leistungsdrucks, damit diese Freiräume überhaupt wahrgenommen werden können, das Erlernen und Erleben von Selbstbestimmung und das dazu nötige Vertrauen seitens der Erwachsenen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt hierbei ist die politische Bildung: Offene Bildung fördert digitale Mündigkeit, das Entwickeln neuer Formen des sozialen und zivilgesellschaftlichen Engagements, z. B. im Rahmen des digitalen Ehrenamts, und den ethischen Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien inspiriert durch die Hacker*innenethik. Diese Ziele werden unter anderem durch partizipative Lernszenarien sowie freie Bildungsmaterialien („Open Educational Resources”) erreicht. Dazu gehören das Aufbrechen der „Lehrer-Schüler-Rolle“ in gleichberechtigte Partner*innen und das kollaborative Entwickeln von Lern- und Lehrinhalten sowie entsprechender Unterlagen. Das dezentrale Organisieren und Teilen der Materialien ist dafür eine wichtige Voraussetzung.
Digitale Mündigkeit beschreibt hierbei die Fähigkeit, konstruktiv, kritisch und souverän mit digitalen Räumen umzugehen, um sich zivilgesellschaftlich und politisch in diesen engagieren zu können. Nur so können wir unsere zunehmend digitalisierte Gesellschaft hinterfragen und mitgestalten. Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Technologien (Digital Literacy), z. B. um online bürgerliche Rechte und Pflichten wahrzunehmen, sind hierbei kein Selbstzweck, sondern Mittel für gesellschaftliche Teilhabe. Es geht um ein Verständnis dafür, wie notwendig es ist, sich am gesellschaftlichen und politischen Leben in digitalen Räumen zu beteiligen, um zivilgesellschaftliche Interessen zu wahren und die Gesellschaft mitzugestalten.
Rückblick
Der Digitalpakt der Bundesregierung über insgesamt 5,5 Milliarden Euro ist nun endgültig auf dem Weg. Auch wenn Investitionen in oftmals mangelhafte digitale Infrastrukturen an Schulen notwendig und wichtig sind, ist damit lediglich ein Schritt von vielen getan. Smartboards machen sich zwar gut auf Fotos, sind aber nur ein Medium, dessen Einsatz erst dann sinnvoll wird, wenn es von geschultem Fachpersonal bedient und in den Unterricht eingebettet werden kann. Ähnliches gilt für Tablets: Werden diese nur genutzt, um bestehende Lerninhalte von Papier auf Bildschirme zu übertragen, ist keine digitale Mündigkeit gewonnen. Wichtige Posten wie Intra- und Internet, Wartung und Systemadministration werden darüber hinaus tendenziell vernachlässigt. Die Kapazität einzelner Schulen, die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll und nachhaltig einzusetzen, wird sich noch zeigen. Insgesamt müsste Deutschland ohnehin laut Schätzungen der OECD jährlich rund 30 Milliarden Euro mehr in Bildung investieren, um gemessen am Bruttoinlandsprodukt auf einem Level mit anderen Industrienationen zu sein.
Die große Frage, die nicht zuletzt aufgrund des Bildungsföderalismus selten diskutiert wird, ist die nach Sinn und Zweck digitaler Offensiven im Bildungssektor. Zeitgemäße Bildung und die Entwicklung digitaler Mündigkeit erfordert (wie oben beschrieben) die Inbezugnahme politischer, ethischer und gesellschaftlicher Fragen im Umgang mit Digitaltechnik. Offene Bildungsformate fördern eine kritische Einstellung gegenüber den omnipräsenten digitalen Konsumangeboten und stellen die Frage, wie Technik für die Gesellschaft eingesetzt werden kann. Um dies umzusetzen, sind Rahmenbedingungen notwendig, die ein freies und selbstbestimmtes Arbeiten erlauben und von kompetenten Expertinnen und Experten begleitet werden. Traditionelle Unterrichtsformate und Klassenräume sind damit in ihrer aktuellen Form nur bedingt vereinbar.
Unsere Projekte im Bereich Offener Bildung haben im letzten Jahr gezeigt, wie Bildung auch anders geht: Jugend hackt veranstaltete 2018 beispielsweise im deutschsprachigen Raum 8 Hackathons mit mehr als 400 Jugendlichen sowie einen deutsch-türkischen Jugendaustausch. Möglich gemacht wurde dies durch über 5000 Freiwilligenstunden seitens der begleitenden Mentor*innen.
Die Demokratielabore führten ihre 12 verschiedenen, eigens entwickelten Workshopformate insgesamt 73 mal in außerschulischen Jugendeinrichtungen deutschlandweit durch und erreichten dabei über 680 Jugendliche und 300 pädagogische Fachkräfte. Auf der Selbstlernplattform finden Interessierte nun zahlreiche Materialien, Ideen und Tools für digitale Jugendprojekte, die zur Gestaltung der Gesellschaft von morgen beitragen. Zudem bleibt jede Menge Raum, die Plattform mit eigenen Ideen und Themen anzureichern.
In den deutschlandweit verteilten edulabs hat sich eine nachhaltige Community von über 150 digital kompetenten Bildungsreformern und -reformerinnen gegründet, die an zeitgemäßen Formaten und Tools arbeiten, die unsere Bildungsprozesse erneuern und frei lizenziert sind. Durch zahlreiche Kommunikationsmaßnahmen und das erste Forum Open Education wurden ihre Positionen und Projekte einer breiten Öffentlichkeit sowie politischen Entscheidungstragenden zugänglich gemacht.
Der Turing-Bus fuhr erstmals durch den in vielerlei Hinsicht vernachlässigten ländlichen Raum, um über 450 Teilnehmende bei Digitalworkshops mit regionalen Hackspaces zusammenzubringen. Vor allem dank der aktiven Unterstützung von Expert*innen digitaler Disziplinen und Vertreter*innen regionaler Initiativen (Offene Werkstätten, Hackspaces, OK-Labs) entstanden 13 spannende Stationen mit Hands-on-Workshops, Screenings und Diskussionsformaten mit Regionalpolitiker*innen.
Insgesamt haben wir in den Workshops und Veranstaltungen von Jugend hackt, Demokratielabore, Turing-Bus und edulabs 2018 über 1.500 Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte in der Anwendung digitaler Tools für gesellschaftliche Fragestellungen geschult.